Mit Experimentierfreude, Kreativität und Geduld
Im Zuge der Digitalisierung geht der technologische Fortschritt auch an Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) nicht vorüber. Das bedeutet für Hersteller in der Entwicklung erheblichen Aufwand. Worauf es ankommt, weiß Alexander Terhart. Als Innovationsmanager bei ELTEN ist er für die Projekte zuständig, die sich um smarte Lösungen für Sicherheitsschuhe, sogenannte Smart shoes, drehen. Mehr dazu im Interview.
Im Arbeitsschutz sind intelligente Lösungen wie Smart shoes längst kein Standard. Wie lässt sich das erklären?
Alexander Terhart: Das liegt zum einen an der kosten- und zeitintensiven Entwicklung. Bevor neue Systeme in der Praxis angewandt werden, müssen sie alle Sicherheitsnormen ihres Einsatzbereiches erfüllen. Zum anderen ist die Akzeptanz für hochtechnisierte PSA seitens der Nutzer noch überschaubar. Sie wird von vielen Anwendern noch als zu kompliziert empfunden oder es herrscht Verunsicherung darüber, ob die Geräte tatsächlich den versprochenen Schutz bieten und nicht selbst zur Gefährdung werden, weil technisches Versagen droht. Daher haben sich elektronische Systeme im Bereich der Sicherheitsschuhe bisher kaum durchgesetzt.
Dennoch beschäftigst du dich intensiv mit Fragen zur Digitalisierung. Wie passt das zusammen?
Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Daran möchten wir uns beteiligen und die Zukunft mitgestalten. Das bedeutet für uns, experimentierfreudig und kreativ zu sein. Gleichzeitig müssen wir viel Geduld mitbringen, denn von der Idee bis zum marktreifen Produkt ist es ein langer Weg. Schließlich müssen die Sicherheitsschuhe weiterhin den gesetzlichen Vorschriften und berufsgenossenschaftlichen Vorgaben entsprechen, damit sie für die Praxis zugelassen werden. Die damit verbundenen Herausforderungen lassen sich nicht mit der Entwicklung von herkömmlichem Fußschutz vergleichen. Gegenüber anderen PSA-Artikeln fällt es aber leichter, Elektronik zu verbauen.
Warum ist das so?
Weil beispielsweise Bekleidung auch einmal gewaschen werden muss und Bauteile dadurch beschädigt würden. Das kommt bei Sicherheitsschuhe vergleichsweise selten vor. Noch wichtiger aber ist, dass die Schuhe während des Arbeitstages in der Regel permanent getragen werden. Somit bleiben die entscheidenden Bauteile am Körper und werden nicht versehentlich abgelegt. Das kann bei der Unfallprävention entscheidend sein, denn in puncto Arbeitssicherheit kann der Faktor Mensch eine Schwachstelle sein.
Worauf muss ich denn achten, wenn ich intelligente Lösungen für Sicherheitsschuhe entwickeln möchte?
Es fängt mit der Frage an, an welcher Stelle sich Bauteile am oder im Schuh anbringen lassen, damit die Technik auch wie vorgesehen funktioniert. Hinzu kommt, dass bei der Produktion eines Sicherheitsschuhs mechanische Belastungen und Einflüsse durch Wärme oder Kälte wirken. Deshalb dürfen etwa ein Akku und Kabelführungen nicht mit den Nahtführungen kollidieren.
Was passiert danach?
Erst wenn der Einbau reibungslos funktioniert, führen wir Langzeittests durch. Wir müssen intensiv prüfen, ob die Kabelverbindungen auch unter extremen Bedingungen halten, wie etwa bei dauerhafter Bewegung oder bei schwerer Belastung, oder ob die Elektronik ausreichend vor Wasser und Dreck geschützt ist. Es geht auch darum, was passiert, wenn die Elektronik mit Körperschweiß in Kontakt kommt. Lassen sich diese Details erfolgreich beantworten, können wir uns mit der Zertifizierung beschäftigen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Zulassung als Elektroprodukt hier die größte Hürde darstellt. Schließlich müssen alle elektronischen Komponenten die vom Gesetzgeber vorgeschrieben Anforderungen erfüllen. Dazu zählen Spannungs- und Dichtheitsprüfungen ebenso wie Tests auf elektromagnetische Verträglichkeit. Nicht zuletzt geht es für uns auch darum, Lösungen für eine umweltschonende Entsorgung der Bauteile zu finden.
Seit wann beschäftigst du dich mit der Entwicklung smarter Sicherheitsschuhe?
Erste Projekte sind bereits 2017 in Zusammenarbeit mit verschiedenen Start-up-Unternehmen angelaufen. Auf der Arbeitsschutz-Messe A+A in Düsseldorf haben wir damals erste Prototypen präsentiert. Das Feedback war positiv, daher haben wir unsere Entwicklungsarbeit in dem Bereich intensiviert. Inzwischen sind weitere Partner hinzugekommen, die bei Themen wie Soft- und Hardware zur Programmierung und zur Zertifizierung von Elektroprodukten unterstützen.
Unlängst wurde ein Sicherheitsschuh mit Lasersensoren präsentiert. Was muss man sich darunter vorstellen?
Das ist ein Sicherheitsschuh, der in Kooperation mit dem auf tragbare Elektronik spezialisierten Start-up-Unternehmen „VRaktion“ entstanden ist. Diese Smart shoes sind vorne und hinten mit Lasersensoren ausgestattet, die Hindernisse erkennen und auch deren Entfernung zum Schuhträger messen können. Auf diese Weise lässt sich das Risiko minimieren, bei der Arbeit zu stolpern, umzuknicken und dabei zu fallen. Das kann beispielsweise dann passieren, wenn Arbeitsplätze schlecht oder gar nicht ausgeleuchtet und Hindernisse dadurch nicht zu sehen sind.
Und wie merkt der Träger des Smart shoes, dass Gefahr droht?
In die Sicherheitsschuhe ist ein Vibrationsmotor eingebaut, welcher den Träger vor Gefahren warnt. Zusätzlich kann die Elektronik im Schuh mit Smartwatches sowie Smartphones per Bluetooth vernetzt werden und somit die Alarmierung auf anderen Geräten erfolgen und verstärkt werden. In die Schuhe integrierte LEDs dienen dazu, den Weg auszuleuchten. Sie können dadurch auch als Taschenlampe genutzt werden.
Gibt es für solche Schuhe bereits Bedarf?
Ganz klar. Wir sind bei Workshops mit Teilnehmern aus der Versorgungsindustrie häufiger darauf angesprochen worden, dass Stolperunfälle insbesondere für Beschäftigte in der Stadtreinigung ein großes Unfallrisiko darstellen. Wenn es in Großstädten zur Entleerung der großen Mülltonnen von Mehrfamilienhäusern kommt, wird dies aus Verkehrsgründen häufig nachts durchgeführt. Die Arbeitswege sind aber nicht immer ideal ausgeleuchtet, Hindernisse sind nicht unmittelbar erkennbar und daher eine Stolperfalle.
Wie wichtig sind solche Impulse aus der Praxis für deine Arbeit?
Die sind ein wesentlicher Faktor. Selbstverständlich haben wir viele eigene Ideen. Aber grundsätzlich möchten wir im Austausch mit unseren Kunden konkrete Probleme aufgreifen und gemeinsam prüfen, wie sich technologische Lösungen finden lassen.
Welche smarten Lösungen sind bei Sicherheitsschuhen darüber hinaus denkbar?
Es kann beispielsweise darum gehen, Zugangsberechtigungen zu sensiblen Arbeitsbereichen über Komponenten in einem Sicherheitsschuh zu steuern oder einen Notfall-Stopp auszulösen, wenn Beschäftigte etwa in den Gefahrenbereich einer Anlage fallen. Grundsätzlich wird uns die Digitalisierung in Zukunft intensiver beschäftigen, auch im Kontext des Projektes Industrie 4.0. Es wird auch für uns ein ständiger Prozess bleiben, bei dem wir weiter über den Tellerrand hinausblicken, Probleme erkennen und passende Lösungen finden möchten.